Rachel Oidtmann: Die Welt des Balletts entdecken
Rachel Oidtmann ist ausgebildete Balletttänzerin und schreibt Geschichten und Drehbücher. Sie studierte zeitgenössischen Tanz am Laban Dance Centre in London sowie Theater- und Literaturwissenschaft in Mainz und Berlin. Mit ihrem ersten Kinderbuch „Ballett – Deine ersten Schritte in die Welt des Tanzes“, welches im September bei der E. A. Seemanns BILDERBANDE erschien, lädt sie junge Leserinnen und Leser ab 5 Jahren dazu ein, die magische Welt des Balletts zu entdecken. Ein zeitgemäßer und umsichtiger Blick auf Ballett liegt ihr dabei besonders am Herzen.
In diesem Beitrag spricht sie über ihren eigenen Weg zum Tanz und was sie bis heute am Ballett begeistert.
Möchtest du dich kurz vorstellen?
Mein Name ist Rachel Oidtmann. Ich bewege mich in den Zwischenbereichen von Tanz, Theater und Literatur, wobei ich inzwischen vor allem als Autorin arbeite. Manchmal alles gleichzeitig und manchmal auch nichts von alledem.
Was begeistert dich besonders am Ballett?
Ballett steht einerseits für Strenge und Disziplin, andererseits verkörpert es eine Leichtigkeit, welche die Menschen nun bereits über Jahrhunderte hinweg fasziniert und zum Träumen animiert.
Es gehört zu den wenigen Sportarten, die wirklich den ganzen Körper trainieren. Trotzdem wird es vor allem als Kunstform wahrgenommen und fördert als solche auch Kreativität und künstlerische Denkansätze.
Ballett basiert auf einer extrem präzisen Technik, die auch für viele andere Tanzformen als Grundlage dient. Wenn man diese Technik schon als Kind kennenlernt, scheint der Körper sie nie ganz zu vergessen. Egal nach wie vielen Jahren, in welcher Lebensphase oder in welchem Land man das nächste Mal in eine Ballettklasse geht – da ist etwas, was sich wie ein Nachhausekommen im eigenen Körper anfühlt. Das habe ich als ein sehr starkes und stärkendes Gefühl kennenlernt.
Wie bist du selbst zum Tanz gekommen? Kannst du dich noch an deine erste Tanzstunde erinnern?
Ich hatte das Glück, dass ich von klein auf viel ins Theater mitgenommen wurde.
Das habe ich immer sehr genossen – zuerst die Aufregung vor dem Theater und dann das Gefühl von Geborgenheit, wenn ich bei einem langen Stück inmitten des Geschehens an der Schulter meines Vaters einschlafen durfte. Das hat für mich fast schon zum Theaterbesuch dazugehört. Beim Ballett ist das aber nie passiert, da war ich immer wie elektrisiert. Die Pausen in den Vorstellungen habe ich dann dafür genutzt, selbst die breiten Treppen im Theater auf und ab zu tanzen.
An meine erste eigene Tanzstunde kann ich mich nicht erinnern, aber ich habe noch genau vor Augen, wie es dazu kam: Bei einem Ausflug balancierte ich an der Hand meiner Mutter über einen liegenden Baumstamm. Durch diese Bewegung wurde mir plötzlich bewusst, dass ich selbst tanzen wollte und ich bat meine Eltern darum, Ballettunterricht nehmen zu dürfen.
Ich habe mich von Anfang an wohl gefühlt im Ballett. Einerseits konnte ich mich dort kreativ ausprobieren, andererseits mochte ich aber auch den klaren Rahmen, den einem die Technik vorgibt und anhand dessen man sich verbessern kann. Rückblickend kann ich sagen, dass die Welt des Tanzes für mich der ideale Ausgleich zum Schulalltag und allem, was damit zusammenhing, war. Das hat manches dort ein kleines bisschen weniger wichtig gemacht und hat mir Selbstbewusstsein gegeben. Eine Erfahrung, die ich jedem Kind wünsche!
Was war der bei der Arbeit an dem Buch besonders wichtig?
Mir ist ein zeitgemäßer Blick auf das Ballett wichtig. Dazu gehört meiner Meinung nach vor allem, Kinder von Anfang an in ihrem Körper und ihrer Persönlichkeit zu stärken. Ballett basiert auf festgelegten Formen und einem hohen ästhetischen Anspruch.
Das kann dazu verleiten, sich gewissermaßen von außen in diesen Rahmen hineinpressen zu wollen. Eigentlich sollte es aber andersherum funktionieren: Man muss seinen eigenen Körper kennenlernen und verstehen, um dann, von innen heraus, diese Formen zu finden. Auch mentale Bilder können eine enorme Hilfestellung sein, um den richtigen Ansatz für eine Bewegung zu finden.
Ich wünsche mir, dass Kinder beim Lesen dieses Buches nicht nur Spaß am Tanzen und an ihrer eigenen Kreativität finden, sondern vor allem auch ein Gefühl dafür entwickeln, dass nur sie selbst die Experten für den eigenen Körper und die eigene Gefühlswelt sind. Wenn man als Kind ein gutes Gespür für sich selbst entwickelt, kann dieses einem ein Leben lang als Kompass dienen.
Gab es etwas, was dich bei der Recherche für das Buch überrascht hat?
Mir war nicht bewusst, dass Ludwig XIV. seinen Spitznamen „Sonnenkönig“ tatsächlich von einer Rolle erhielt, die er als Jugendlicher tanzte. Das finde ich ein schönes Symbol für die Bedeutung, die der Tanz damals hatte.
Welches Ballettstück ist dein Lieblingsstück?
Jedes Stück hat seine eigene Faszination. Viele schöne Erinnerungen habe ich an „La fille mal gardée“ und „Le Sacre du printemps“ – zwei sehr unterschiedliche Stücke, die vielleicht auch die Spannbreite des Balletts ganz gut aufzeigen.
„La fille man gardée“ ist ein sehr altes Handlungsballett. Es ist eine verspielte Komödie, was mir als Kind gut gefallen hat. Besonders wird meine Erinnerung daran aber durch Martin Schläpfer, den ich in der Rolle des Alain tanzen sah. Wie er zuerst den etwas tölpelhaften Heiratskandidaten darstellte und danach alle mit seiner absolut mühelos wirkenden Sprungkraft in den Schatten stellte, hat mich tief beeindruckt. Seither war er immer mein – natürlich unerreichtes – Vorbild für Sprünge.
Bei „Le Sacre du printemps“ begeistert mich vor allem die gewaltige Ausdruckskraft der Musik von Igor Strawinsky. Sie ist bis heute eine Herausforderung und eine Messlatte für alle Choreograf*innen und Tänzer*innen.
Was war die größte Herausforderung bei der Arbeit am Buch?
Das Kürzen. Ich wünsche mir, dass dieses Buch auch in späteren Kinder- und Jugendjahren noch im Bücherschrank stehen darf und hin und wieder hervorgekramt wird, um etwas nachzulesen. Deswegen hätte ich es am liebsten so vollständig wie nur möglich geschrieben.
Aber ich glaube, dass wir eine sehr gute Auswahl an Themen und Texten getroffen haben, die einen guten Einstieg und Überblick über das Thema bietet.
Im Buch sind zwei Kurzinterviews mit Polina Semionova und Friedemann Vogel enthalten. Mit welcher Tänzerin oder welchem Tänzer würdest du gerne einmal einen Tag verbringen?
Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn hätte ich sehr gerne mal zusammen erlebt. Ihre vielbesungene Ausstrahlung und gemeinsame Energie waren selbst beim Lesen von Texten und Anschauen von Filmmaterial über die beiden spürbar.
Zum Instagram-Kanal von Rachel Oidtmann
Die Portraitfotos von Rachel Oidtmann in diesem Beitrag stammen von Silvia Wolf.







